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Wir waren 2006 bei "KiR":

Dieter Hildebrandt
Thomas Freitag
Simone Solga
Richard Rogler
Die Lollipops

HERRlich WEIBliche Lollipops auf der "KiR"-Bühne

Den folgenden Konzert-Bericht veröffentlichten die BNN am 27. 11. 2006 in ihrer Ettlinger Ausgabe:

Diese drei Damen stehen ihren Mann: Die Lollipops zeigen dem ?starken Geschlecht? sowohl in der Rolle von drei Jungs, als auch im Abendkleid, was eine Harke ist. Aber das taten sie in der Aula des Mörscher Schulzentrums mit so viel Witz, Charme und straken Stimmen, dass es auch beim männlichen Teil des Publikums hervorragend ankam. Die SPD-Projektgruppe ?Kunst in Rheinstetten? (KiR) setzt nicht nur auf bekannte Namen, sondern will in ihrem Programm auch aufstrebenden Künstlern eine Plattform bieten. Die junge Truppe aus dem Pforzheimer Raum trat in Rheinstetten vor einem voll besetzten Saal auf und hatte schon nach wenigen Stücken großen Applaus sicher. Ihre Revue ?Herrlich Weiblich? bot einen vergnüglichen musikalischen Streifzug durch das Geschlechterverhältnis.

 

Populäre Lieder von Abba bis zu den Comedian Harmonists verpassten Nicola Aydt, Beatrix Reiling, Yvonne Ehringer und Martin Müller am Klavier mit Humor und Können ihre eigene Handschrift. Aus dem unerschöpflichen Repertoire an Evergreens und Popsongs zum Thema griffen sie die unverzichtbaren Klassiker heraus und zauberten gleichzeitig manche Überraschung aus dem Hut. Das ganze begleiteten verschmitzt vorgetragene Ansagen. Für das ?Herrliche? im Programm waren drei ?Jungs? in Anzug und Krawatte zuständig. Da hieß es gleich zum Auftakt mit Herbert Grönemeyer: ?Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich.? Zur gelungenen Blues-Version wandelten sie ?Sex Bomb? von Tom Jones um. Und mit dem Autolied der Dorfcombo hatten sie in Rheinstetten natürlich ein Heimspiel.

 

Schließlich seien es aber doch nur drei Dinge, die den Männern wirklich wichtig sind, meinten die Lollipops: ?Girls, Girls, Girls?. Warum das so sei, erfuhr das Publikum im weiteren Verlauf des Abends, als die Damen sich in eleganter Garderobe dem Weiblichen widmeten. Dabei ersparten sie auch ihren Geschlechtsgenossinnen nicht ironische Seitenhiebe. Denn ?Weibsbilder sind gefährlich?, sangen die drei, sie wissen über die neueste Diät und das beste Mittel gegen Falten Bescheid, wollen den Traum-mann im Internet bestellen und sagen immer frei heraus, was ihnen wichtig ist, und zwar ?die Größe des Geldbeutels.? Ob beim Rap, in der Rolle von Marilyn Monroe oder mit einem flotten Song von Cher, die Lollipops machten eine gute Figur und verabschiedeten sich mit einem temporeichen und witzigen Finale von der KiR-Bühne.

 

(Holger Schorb) 

Die "Lollipops" : Geschlechterkampf mit Augenzwinkern!

Um es vorweg zu nehmen: Es war ein überzeugender Auftritt der Lollipops oder wie es eine Besucherin formulierte: Danke für einen wunderschönen Abend.

 

Der Beifall wollte kein Ende nehmen, so begeistert war das Publikum vom Auftritt der Lollipops auf der KiR-Bühne. Mit einer dramaturgisch geschickt inszenierten Show steigerte sich die herrlich weibliche Gesanggruppe zum ultimativen Höhepunkt. Was Nicola Aydt (Sopran), Beatrix Reiling (Mezzosopran) und Yvonne Ehringer (Alt) musikalisch über Frauen und Männer zu sagen hatten, erzeugte manchen Rippenstoß, leidvolles Stöhnen oder schlicht befreiendes Lachen.

 

Aber es waren nicht die derben, schenkelklopfenden Kracher, die diesen Abend prägten, sondern eher das feinsinnige, wissende Schmunzeln, das das Publikum verzauberte. Ausgestattet mit tollen Stimmen trugen die drei Sängerinnen mit Augenzwinkern ihre herrlich weiblichen Thesen vor. Naiv und bieder, cool und arrogant, rustikal, temperamentvoll und gefühlvoll zugleich wussten sie sowohl Männer als auch Weibsbilder wunderbar darzustellen. Und glitt ein Song zu sehr ins Ernsthafte ab, genügte eine lässig-abwertende Handbewegung von Yvonne Ehringer oder ein schnippisches Brillerücken von Nicola Aydt um Beatrix Reiling wieder auf den Pfad der Tugend zurück zu bringen.

 

Es war die Mischung der Songs (vom modernen Rap und Popsong bis hin zum Volkslied) und die Art der Darbietung und des Vortrags, die immer wieder neue, überraschende Einblicke gewährten in dieses ewig junge Geschlechterthema.

 

Musikalisch perfekt waren die furiosen Meddleys der Gruppe. Oft nur wenige Takte in einem Song verweilend, fügte sich Lied in Lied zu einer neuen Komposition zusammen, wobei Pianist Martin Müller, nahezu unsichtbar aber doch mit hoher musikalischer Präsenz, die Basis legte, die dieses gesangliche Feuerwerk überhaupt erst ermöglichte.

 

Sicher hat Holger Schorb in seinem BNN-Bericht recht mit der Behauptung, mit dem Autofahrerlied der Dorfcombo habe man in Rheinstetten ein Heimspiel, aber die Art der Darbietung machte etwas ganz Besonderes aus diesem Song. Auch die Aufforderung Nimm nen Alten oder die Modernisierung von Ich will nen Cowboy als Mann erzeugte genau jenes Schmunzeln und wissende Lächeln, das den gesamten Abend prägte!

 

Mit dem Auftritt der Lollipops hat KiR ein weiteres Mal den Beweis angetreten, welch wunderbare Perlen in der Schatztruhe der regionalen Kulturszene zu finden sind und nicht nur die fernsehbekannten Namen Garanten guter, niveauvoller Unterhaltung sind. 

Richard Rogler: Nobelpreisverdächtige Gegenfinanzierung

Richard Rogler mit 42 Seiten Kabarett-Text auf der "KiR"-Bühne

Mit sichtbarer Genugtuung und einem ?Ihr habt euch toll entwickelt! nahm Richard Rogler den bisherigen Werdegang des Kulturprojekts KiR zur Kenntnis. Schließlich war er 2001 der Künstler, der das Projekt mit auf den Weg gebracht hatte. Und nun kehrte ?der Pate zu seinem 3. Gastspiel auf die KiR-Bühne zurück, an dessen Ende zwar trotz stürmischen Beifalls keine Zugabe stand, aber ein total erschöpfter und durchnässter Richard Rogler, der seinem Rheinstettener Publikum eine exzellente Vorstellung und den Beweis erbracht hatte, dass auch oberhalb der Gürtellinie vorzügliche, geistreiche Unterhaltung möglich ist.

 

Mit seiner Bühnenfigur Kamphausen durchleuchtete er gekonnt die deutsche Wirklichkeit: Gesellschaft und Wirtschaft, Politik und Bildung, Globalisierung und Ewiges Leben wurden ebenso mit dem kabarettistischen Florett bearbeitet wie die Schicki-Micki-Gourmet-Kocherei oder das Schicksal des bedauernswerten ehemaligen Abgeordneten Günter aus Ostwestfalen, dem ehrlichen aber gescheiterten SPD-Linken.

 

Dass die Sehnsucht nach ewigem Leben unsinnig sei, zeige sich bereits an der Tatsache fehlender Parkplätze. In Rheinstetten, so referierte Rogler, liege die durchschnittliche Lebenserwartung bei etwa 75 Jahren, im Ostallgäu dagegen bei 85  aber, so seine Folgerung: ?Lieber 10 Jahre tot in Rheinstetten als 10 Jahre lebend im Ostallgäu!?. Die wahre Globalisierung, so Kamphausens Erkenntnis, gehe in Richtung Osten. Von dort holen wir alles: Spargelstecher, Erdbeerpflücker und sogar die Kanzlerin! Diese wurde, anders als Müntefering, besonders schonend behandelt: ?Die macht das Richtige, sie hält sich raus aus der Politik!

 

Als wahrhaft nobelpreisverdächtig dagegen lobte der Kabarettist Peer Steinbrücks Idee der Gegenfinanzierung, um sogleich seinem erstaunten Publikum anhand eines grandiosen Beispiels der Ineinanderkettung unzähliger Gegenfinanzierungsmodelle diese moderne Finanzierungsart als die Lösung aller Probleme zu offenbaren.

 

Auf der KiR-Bühne erlebte das Rheinstettener Publikum den Kölner Kabarettisten in Top-Form oder wie Holger Schrob in seinem BNN-Artikel vom 27. 10. schreibt: Zu Hochform läuft Rogler auf, wenn er seine Zuhörer in die Küche der einsamen Mühle führt, wo Nudeln über Quellwasser gedünstet werden und der Wein vor dem Genuss acht Stunden lang atmen muss. Der Kabarettist hadert mit dem Almosengeld II... und sieht die Stabilität der Republik eher in manchen Konzernzentralen, als am Hindukusch gefährdet.

 

Gleich zu Beginn seines Programms hatte Richard Rogler seinem Publikum gedroht: ?Jetzt liegen 42 Seiten Kabaretttext vor Ihnen! aber es war keine Drohung, es war die Ankündigung eines unterhaltsamen, bissigen, mit exzellenten Pointen durchsetzten Abends. 

Simone Solga in Rheinstetten: "Eigentlich wollte ich sie wie eine Stradivari spielen..."

Im Grunde genommen haben wir es schon immer vermutet, aber jetzt wissen wir es: Angela, unser aller Kanzlerin, hat eine „kleine Frau“ im Ohr und die heißt Solga, Simone Solga!

 

Weil Simone sozusagen die Einflüsterin der Schönen und Mächtigen in diesem Lande ist, nennt sie ihr neuestes Programm konsequenterweise „Kanzler/in Souffleuse“ und gibt unterhaltsam-entlarvende Einblicke in die Denkstrukturen und Handlungsweisen bundesrepublikanischer Entscheidungsträgerinnen und –träger. Wie sie bei ihrem jüngsten Auftritt auf der „KiR“-Bühne agierte, ihr Thema pointenreich und wortgewaltig darbot und gesanglich-kabarettistische Leuchtraketen zündete, machte auch dem Rheinstettener Publikum klar, warum Dieter Hildebrandt, der Altmeister des politischen Kabaretts in Deutschland, von Simone Solga schwärmt und sie unter die Topkabarettisten dieses Landes einreiht.

 

Als Simone Solga sich nach „zehn Vorhängen“ und drei heftig geforderten Zugaben aus Rheinstetten verabschiedete, war den Besuchern in der Aula des Schulzentrums klar, welche überaus wichtige Funktion sie in den letzten beiden Jahren in der deutschen Politik eingenommen hat und wem wir letztendlich die vorzeitige Neuwahl des Bundestages und damit die neue Kanzlerin Angela Merkel zu verdanken haben. Ursprünglich von „Münte“ bei der Einweihung des Spaßbades von Bitterfeld als Souffleuse für „Gerd“ angeheuert, wurde sie im Herbst des vergangenen Jahres in den Beraterstab der neuen Kanzlerin übernommen und von „Angela“ persönlich in der Kantine des Kanzleramtes als deren „kleine Frau im Ohr“, als Kanzlerinsouffleuse engagiert. Schlagartig wurde dem Publikum klar, welchen Einfluss die professionellen Einflüsterer auf den Verlauf politischer Einscheidungen nehmen können und wie sehr sie das Image der von ihnen betreuten Politikerinnen und Politiker prägen. Wie sagte Simone Solga über Bundeskanzlerin Merkel: „Eigentlich wollte ich sie wie eine Stradivari spielen, aber sie bleibt doch eine Bratsche!“

 

Nahezu als „einflüsterungsresistent“ offenbart sich der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber und der neue Wirtschaftsminister Michael Glos, deren sprachliche Defizite auch durch Profi-Souffleure und Souffleusen nicht zu beheben seien. Äußerst schwierig und unbefriedigend sei auch ein Job bei „Münte“, dessen kurze Sätze eigentlich nur Stichworteinflüsterungen zuließen. Noch kein abschließendes Urteil erlaube sich die Branche der Einflüsterer über Kurt Beck, aber die Problematik mit Pfälzern sei aus der 16jährigen Erfahrung mit „dem Dicken“ bestens bekannt.

 

Simone Solga zeigte sich bei ihrem dritten Auftritt in Rheinstetten (sie war bereits 1995 als Mitglied der Münchner Lach- und Schießgesellschaft in der Ufgauhalle aufgetreten) glänzend aufgelegt und wie bei ihrem letzten Soloprogramm spielte sie auch dieses Mal sehr gekonnt mit dem Publikum, in dem sie es in das Programm einbaute und zur allgemeinen Freude (vielleicht auch Schadenfreude) mitspielen ließ. Wie sehr ihre Art Kabarett darzubieten auch in Rheinstetten ankommt, konnte sie deutlich am nicht enden wollenden Schlussapplaus erkennen. 

"KiR" feiert Geburtstag mit einer badisch-schwäbischen Götterspeise!

Mit einem rundum gelungenen Programm überraschten die ?KiR?-Verantwortlichen ihre Gäste , die zur Feier des 5. Geburtstages des Rheinstettener Kulturprojekts in die Aula des Schulzentrums gekommen waren. Humorvolle Zauberei, a-cappella-Gesang vom Feinsten und tiefschürfende Weisheiten eines begeisternden Schwaben waren die Zutaten, aus denen das Festtagsmenü zubereitet wurde. Es war in der Tat eine badisch-schwäbische Götterspeise, die die Künstler in einem Dreieinhalb-Stunden-Programm auf der KiR-Bühne kredenzten.

 

In seiner Begrüßungsrede bedankte sich ?KiR?-Leiter Wolfgang Knoch zunächst bei allen aktiven Helferinnen und Helfern sowie bei allen Sponsoren, die das Kulturprojekt der SPD seit fünf Jahren unterstützen, um dann fortzufahren: Wir bei KiR wollen ihnen, den Künstlerinnen und Künstlern, eine Bühne geben und wir wollen für Sie, unsere Gäste, einen Raum der Begegnung mit Kunst und Kultur schaffen.

 

Die anschließende Geburtstagsfeier war ein deutlicher Hinweis darauf, wie seit fünf Jahren diese anspruchsvolle Zielvorgabe durch KiR umgesetzt wird. So betätigten sich der Marionettenspieler Gerhard Brückner und der Illusionist Daniel Bornhäußer als ?Eisbrecher?, die in spielerischer Art und Weise das Publikum auf den Abend einstimmten. Mit verblüffenden Effekten und humorigen Überleitungen verzauberte Magic Daniel die Geburtstagsgäste und band sie in das Geschehen auf der Bühne ein.

 

Wahre Begeisterungsstürme erntete das Karlsruher Männerquartett ?Barbershop Sixpack. Die vier Sänger (Johannes und Georg Peter, Andreas Haas und Daniel Chroust) zeigten auch auf der KiR-Bühne, weshalb sie zu den besten a-cappella-Gruppen Baden-Württembergs zählen, denn es ist nicht nur ihre Stimmsicherheit und Musikalität, die begeistern, sondern auch die kleinen humoresken Einlagen, bei denen ein Fingerzeig, eine kleines Runzeln der Stirn genügen, um Andeutungen zu Gewissheiten werden zu lassen. Ob es nun um die wichtigste aller Fragen, Liebt sie mich oder liebt sie mich nicht, oder um das Problem eines leeren schwäbischen Weinkellers geht, ob die russische Sonja ihr Tanzbein schwingt oder Onkel Bumba aus Kalumba Rumba tanzt, ob die Margariten schonungslos gerupft werden oder der kleine grüne Kaktus den Nachbarn sticht  das Rheinstettener Publikum genoss den Auftritt in vollen Zügen und wollte die vier stimmgewaltigen Künstler nicht von der Bühne lassen.

 

Die badisch-schwäbische Götterspeise wurde genussvoll abgerundet durch den schwäbischen Dichter und Denker Dieter Adrion alias Johann Martin Enderle. Er offenbarte sich als wahrer Meister der schwäbischen Mundart und als exzellenter Vorträger. Wenn er aus der Schatztruhe seiner Karteikartensammlung zitiert, hat er vorher den Schwaben aufs Maul geschaut und diese Erkenntnis bringt er punktgenau mit viel Humor und Witz auf den Tisch der ?KiR?-Bühne. Was Johann Martin Enderle bot, war nicht banales Geschwätz, sondern anspruchsvolle, zum Teil kompliziert konstruierte Verskunst mit treffenden Pointen. Er zeigte sich als wahrer Wortkünstler, als Akrobat des Schwäbischen, der durch seine Simultanübersetzungen durchaus auch badische Menschen in den Genuss württembergischer Geistesblitze kommen ließ. Seine Definition schwäbischer Leitkultur (Sprache, Küche, Lebensart) war nicht nur nachvollziehbar, sondern auch höchst amüsant, wenn er beispielsweise die tiefere Bedeutung des Wortes gschwend erklärte, die Elegie d Spätzl ofm Saier vortrug oder sich über das Aussterben der alten Wirtshaustraditionen und des Zwiebelrostbratens im Grünen Baum beklagte.

 

Wie gut Dieter Adrion alias Johann Martin Enderle auf der badischen KiR-Bühne ankam und wie sehr er sein Publikum fesselte, zeigt die Tatsache, dass aus dem ursprünglich auf 40 Minuten geplanten Auftritt eine zweistündige Lesung wurde, die rundum begeisterte. Es war, wie Dieter Adrion ins KiR-Gästebuch schrieb, ein Glanzpunkt im Kalenderle / des Johann Martin Enderle! 

Thomas Freitag: Das etwas andere Spiegelbild der deutschen Wirklichkeit

Bereits beim ersten Blick auf die KiR-Bühne in der erneut ausverkauften Aula des Schulzentrums ist zu erkennen, dass es etwas anders ist als sonst. Links, auf ihrem Sockel thronend, Justizia, rechts ein Polizist mit Hund, in der Mitte eine Staffelei mit der Prozessankündigung ?Deutsche Börse gegen irgendwen und davor ein halbrundes Balkongeländer  die Schranken des Gerichts.

 

Licht aus, Saal dunkel, retardierendes Moment: Der Künstler erscheint nicht. Stimmengewirr, Mahnungen eines virtuellen Richters, Forderungen eines ebensolchen Staatsanwalts, großes Gepolter und Thomas Freitag hastet in Anwaltsrobe vor sein Publikum. Was folgt ist kein Nummernkabarett im üblichen Sinne, sondern ein kabarettistisches Einpersonenstück, in dem Freitag in zehn und mehr Rollen schlüpft, sie mit Leben erfüllt, um sein Hauptthema ?Die Verantwortung der deutschen Wirtschaft und die Ohnmacht der Politik aus allen Blickwinkeln zu betrachten.

 

Einprägsam sind seine Bilder und Vergleiche, mit denen er den Grundjammerton Deutschlands als gestyltes Design fern ab der Realität geißelt, die europäische Verordnungswut mit Hilfe von Lukas dem Lokomotivführer persifliert oder wenn er die Angst vor Nullwachstum und die deutsche Weltuntergangsstimmung als willfährige Komplizen einer raffgierigen Wirtschaft und einer ohnmächtigen Politik entlarvt: ?Die acht Verstände der Deutschen Bank verdienen pro Jahr mehr als alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages zusammen  sie haben auch mehr zu sagen!

 

Zu wirklicher Hochform läuft Thomas Freitag auf, wenn er in seine Lieblingsrollen, die gleichzeitig seine Paraderollen sind, schlüpft: Franz-Josef Strauß und Willy Brandt. Man schließt die Augen und hat beide wahrhaft vor sich, den bayrischen Grantler und den Welt-Visionär. Wie sie in Gerhard Schröder und Edmund Stoiber fahren und mit ihnen abrechnen und umspringen, ist zwerchfell- und geistfordernd. Und schließlich mutiert Thomas Freitag mit Hilfe der blonden Hundemähne zu Angela Merkel! Was er sie wie sagen läßt, offenbart alles: Geld oder Gülle.

 

In seinen Parodien bleibt keine Partei ungeschoren?, wie Holger Schorb in seinem BNN-Artikel vom 10. April über das Freitag-Gastspiel festhält. ?Er schafft es, ein Gipfeltreffen von Politikern auf die Bühne zu bringen und erntet dafür jede Menge Beifall.? Dem ist nichts hinzuzufügen. 

Dieter Hildebrandt mit brillanter Vorstellung in Rheinstetten

Eigentlich begann Hildebrandts Auftritt bereits backstage. Da ging er im Klassenzimmer der 8 c von Frau Gehl auf und ab, las die an die Wand gepinnten Verhaltensregel der Realschüler und murmelte immer wieder: ?Das sollte sich der Ackermann mal merken!? Eifrig machte sich der Altmeister des deutschen Kabaretts Notizen, denn für ihn stand fest: ab sofort gehören diese Regeln aus dem Mörscher Klassenzimmer zu Standardrepertoire seiner kabarettistischen Lesungen!

 

Was Dieter Hildebrandt anschließend bei seinem zweiten Gastspiel in Rheinstetten auf der KiR-Bühne bot, war keine Lesung im üblichen Sinne, sondern Kabarett der allerersten Klasse. Wer den schlesischen Münchner nur aus dem Fernsehen kennt, kennt Hildebrandt nicht. Denn auf der Bühne, im direkten Kontakt mit seinem Publikum vermittelt der 78-Jährige eine Präsenz, die fesselt und begeistert. Seine Spontanität wirkt zu keinem Zeitpunkt einstudiert; er nimmt sein Publikum ernst und spielt doch mit ihm und beide, der Künstler und seine Fans, unterhalten sich dabei köstlich.

 

Hildebrandts Halbsätze sind Legende. Er braucht den Satz auch nicht zu Ende bringen, denn alle wissen, was gemeint ist. Obwohl: ... eigentlich werde ich hier für die Pointen bezahlt! Und dann immer wieder dieser Hinweis, nein, diese Drohung: Gleich lese ich. Warum eigentlich, fragen sich viele im restlos ausverkauften Saal, mach doch bitte einfach so weiter ,Dieter. Vermittle uns deine Sicht der aktuellen Lage. Klär uns auf über die Wirrnisse und Unverständlichkeiten der Politik. Erkläre uns, was Brüderle meint, wenn er Warmduscher, Vorwärtseinparker und die nassen Hosen zu einem unerklärlichen Bild zusammenbringt. Erläutere uns das eigentümliche Wipp-Verhalten unserer Politiker kurz vor dem Ausstoss bedeutungsschwangerer heißer Luft. Bitte tus. Wir, dein Publikum, sind nicht deine Frau Renate, bei uns genügt nicht dein ?Jetzt nicht, vielleicht später. Wir wollen jetzt wissen, was Dieter Hildebrandt zu sagen hat. - Gleich lese ich!

 

Wie gesagt, die Drohung stand nahezu eine Stunde in der Aula des Schulzentrums, aber Dieter Hildebrandt hatte noch keine Zeile gelesen, jedoch schon mehrfach gedroht: Gleich lese ich  jetzt nicht, vielleicht später! Und sein Publikum fühlte sich deswegen trotzdem nicht hintergangen, obwohl eine Lesung angekündigt worden war. Eine tiefschürfende Erkenntnis jagte die andere durch den Rheinstettener Bildungstempel und manche Erleuchtung gab es  ?jetzt nicht, vielleicht später!

 

Dieter Hildebrandt kam noch zum Lesen. Eine Drohung wurde zum Hochgenuss! Max Meusel, die hildebrandtsche Kunstfigur aus dem Fundus der Deutschen Bahn AG, lebte durch seinen Vortrag und wer einmal mit der Bahn unterwegs war, wusste, wen Hildebrandt beschrieb, wenn er seine Erlebnisse im Abteil wiedergab: es waren die Miniatur-Ackermänner unserer Gesellschaft. Als Dieter Hildebrandt nach über zwei Stunden Lesung zu Ende kommen wollte, sagte sein Publikum: ?Jetzt nicht, vielleicht später! und der Altmeister griff tief in seine Schatztruhe, um das Beste zum Schluss darzubieten: Die schlesischen Gedichte über die vier Jahreszeiten beendeten eine brillante Vorstellung!

 

Doch nicht nur das Publikum war begeistert. Das Gastspiel endete in Wirklichkeit dort, wo es begonnen hatte: backstage im Klassenzimmer der 8 c: Ihr habt ein tolles Publikum. Was bei euch Begrüßungsapplaus ist, erhalte ich normalerweise, wenn?s gut geht, zum Abschied. Und dass die Scheinwerfer vor Begeisterung explodieren, kommt auch nicht alle Tage vor!